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Infektionen, Entzündungen und Krebs

Die Übernahme der Seniorprofessur durch den renommierten Infektionsbiologen Thomas F. Meyer stärkt ein vielversprechendes Forschungsgebiet an der Uni Kiel: die Infektionsonkologie. Ziel ist, Bakterien als Mitverursacher von Krebs zu überführen.

Thomas Meyer vor Tafel
© David Ausserhofer / Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie

Der Infektionsbiologe Thomas F. Meyer forscht an der Schnittstelle von Infektion, Entzündung und Krebsentstehung.

Ruhestand? Diese Option war für Professor Thomas Meyer undenkbar: »Die Forschung fasziniert mich, und es gibt noch viele offene Fragen und Hypothesen, denen ich nachgehen möchte.« Für den emeritierten Direktor des Max-Planck-Instituts für Infektionsbiologie in Berlin und jetzigen Seniorprofessor an der Uni Kiel gibt es keinen Grund auf dem Höhepunkt seines Forschungserfolgs alles hinter sich zu lassen. Gerade erst hat er die Robert-Koch-Medaille in Gold erhalten in Anerkennung seines herausragenden wissenschaftlichen Lebenswerks. Und vom Europäischen Forschungsrat (European Research Council, ERC) erhielt er im Frühjahr die Zusage für einen Advanced Grant in Höhe von 2,5 Millionen. Diese begehrte Förderung ermöglicht ihm, die Rolle bakterieller Infektionen bei der Entstehung von Krebs systematisch und grundlegend zu untersuchen. Forschung, die jetzt in Kiel laufen soll.

Im September hat Meyer mit dem Aufbau seiner Arbeitsgruppe »Infektionsonkologie« begonnen. Den Ausschlag dafür nach Kiel zu gehen, gab die thematische Verbindung zu den hier laufenden Aktivitäten im Bereich der Entzündungsforschung im Exzellenzcluster »Precision Medicine in Chronic Inflammation« (PMI). Chronische Entzündungen sind quasi die Schnittstelle zwischen Infektion und Krebs. Ihnen wird eine zentrale Rolle bei der Vermehrung von Krebszellen zugesprochen, die initial durch bakterielle Infektionen entstanden sein könnten. Und es ist bekannt, dass bakterielle Infektionen solche Entzündungsprozesse auslösen können. Meyer: »Ich bin dabei sehr optimistisch, dass es uns gemeinsam gelingen wird, aus diesen Synergien heraus wichtige Forschungsergebnisse zu erzielen, bis hin zur Entwicklung neuer Behandlungsansätze. Die Universität bietet mir mit dem Exzellenzcluster PMI, der Mmedizinischen Fakultät und den Naturwissenschaften eine ausgezeichnete Plattform und Diskussionsmöglichkeiten mit hervorragenden Persönlichkeiten.«

Den Zusammenhang zwischen Infektionen und der Krebsentstehung erforscht der Infektionsbiologie schon seit über zwanzig Jahren. Ausgangspunkt war die Frage, wie chronische Infektionen die menschliche Zelle schädigen und ob diese Schädigung Krebs verursachen kann. Beflügelt wurde diese Forschung durch Arbeiten zur Krebsentstehung infolge von Virusinfektionen. Mittlerweile ist zum Beispiel erwiesen, dass Unterarten des humanen Papillomavirus (HPV) zur Entstehung von Gebärmutterhalskrebs beitragen. Den Beweis für diesen Zusammenhang erbrachte Professor Harald zur Hausen, der dafür 2008 den Nobelpreis für Medizin und Physiologie erhielt.

Die Vermutung, dass auch bakterielle Infektionen die Entstehung von Krebs vorantreiben können, gibt es schon lange. Epidemiologisch gut belegt ist dieser Zusammenhang für das Magenbakterium Helicobacter pylori. Der Erreger nistet sich in der Magenschleimhaut ein und kann zu einer dauerhaften Entzündung führen. In der Folge kann es zu Magengeschwüren, Blutungen und Magenkrebs kommen. »Allein aus epidemiologischer Sicht ist die Annahme gesichert, dass Helicobacter Magenkrebs begünstigt. Es ist aber bisher grundsätzlich unbekannt, wie genau Helicobacter pylori seine Wirtszellen zu Krebszellen umprogrammiert«, so Meyer. Diese Lücke solle seine Arbeitsgruppe Infektionsonkologie an der Uni Kiel schließen. »Ich bin sicher, dass uns die Erkenntnis darüber bei der Entwicklung nach erfolgversprechenden Therapien und präventiven Maßnahmen entscheidend weiterbringen wird. Auch andere bakterielle Erreger, die im Verdacht stehen, am Prozess der Krebsentstehung elementar beteiligt zu sein, werden dann verstärkt in den Fokus der Krebsforschung, also der Infektionsonkologie, rücken.«

Dass Bakterien bisher von der Krebsforschung unterschätzt wurden und sie als Täter so schwer zu überführen sind, habe mit der Tatsache zu tun, dass die Krebsentwicklung oft erst über Jahre und Jahrzehnte nach einer Infektion erfolge. »Eine der wesentlichen Herausforderungen meines Forschungsgebietes ist der dezidierte Nachweis der Kausalität zwischen einer bakteriellen Infektion und der Krebsentstehung«, erklärt der Wissenschaftler, der mit einer Veröffentlichung in Nature Medicine in diesem Jahr bereits einen ersten Durchbruch bei der Beweisführung hatte. In dieser Arbeit analysierte er die Wirkung gewisser Darmbakterien, die das menschliche Erbgut mit einem Genotoxin schädigen. Er fand heraus, dass ein von E. coli Bakterien gebildetes Toxin eine spezifische Signatur in den Tumorzellen einer bestimmten Darmkrebsart hinterließ. »Hiermit ist es mir und meinem Team gelungen, erstmals einen Nachweis für den kausalen Zusammenhang zwischen bakterieller Infektion und der Krebsentstehung beim Menschen zu erbringen.«

Autorin: Kerstin Nees

Stichwort Seniorprofessur

Um Professorinnen und Professoren, die bereits im Ruhestand oder emeritiert sind, weiterhin aktiv in Forschung und Lehre einzubinden, wurde die Seniorprofessur eingeführt. Sie ist auf fünf Jahre befristet und wird an ausgewählte, herausragende Persönlichkeiten mit national und international beachteten Forschungs- oder besonderen Lehrleistungen vergeben. An der CAU gibt es derzeit (Stand: Oktober 2020) fünf Seniorprofessoren: Robert Alexy, Günther Deuschl, Gerhard Fouquet, Mojhib Latif und Thomas F. Meyer. (ne)

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