
Viel Platz für Vielfalt
Der Botanische Garten ist nicht nur das lebendigste Museum der CAU, mit seinen 14.000 Pflanzenarten und dem acht Hektar großen Gelände ist er wohl auch das größte – und jeden Tag anders.

Auch ohne Blüte ein Hingucker im Victoriahaus: Die drei gigantischen Blätter der Titanenwurz (links im Bild). Gartenkustos Martin Nickol erwartet frühestens in 2020 das nächste Blühereignis. Seit der ersten Blüte in 2012 hat das Kieler Exemplar alle zwei Jahre ihren riesigen Blütenstand geöffnet.
Die Sonne scheint an einem der letzten schönen Novembertage, der Morgendunst verzieht sich langsam und die Bäume, Sträucher und Beete leuchten in vielfältigen Grün-, Gelb-, Orange- und Brauntönen; der Spaziergang durch die weitläufige Anlage des Botanischen Gartens der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) lässt fast vergessen, dass man mitten in der Stadt ist, zwischen Hochhäusern und der B76. Im Vorbeigehen nehme ich die verschiedenen heimischen Landschaftsformen wahr, Düne, Erlenbruch, Teichlandschaft, Heide und Moor mit ihrem jeweils typischen Bewuchs, passiere die biologischen Abteilungen, den Arzneigarten und die südeuropäischen Landschaftszonen. Es ist wirklich schön hier, abwechslungsreich und erholsam – aber auch ein Museum?
Vor den Schaugewächshäusern treffe ich Dr. Martin Nickol, den Kustos des Botanischen Gartens. Mit einem Team von 22 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie 13 Auszubildenden betreut er eine Fläche von über acht Hektar Freiland sowie die sieben Schaugewächshäuser. Seit 20 Jahren kämpft er dafür, dass der Botanische Garten als museale Einrichtung wahrgenommen wird. »Unsere Mission ist, die Pflanzenwelt zu erforschen, zu dokumentieren, zu präsentieren, zu erklären und zu erhalten. Dabei sind wir das lebendigste Museum, das man sich vorstellen kann, nicht nur weil wir lebende Dinge ausstellen. Wir haben jeden Tag etwas Neues zu bieten.«
Genau wie in anderen Museen gibt es auch im Botanischen Garten verschiedene Sammlungen, hierzu zählen zum Beispiel die Sammlung insektenfangender Pflanzen, die Sukkulentensammlung, die Lianen- und Kletterpflanzensammlung oder die Mangrovenpflanzensammlung. Nickol: „Dieser Garten besteht, wenn ich das theoretisch durchdenke, aus einzelnen Sammlungen, die aber insgesamt als Gesamtheit präsentiert werden. Die einzelnen Sammlungen sind systematisch begründet, durch den Landschaftstyp oder durch die Wuchsform.“ Generell ist der Garten pflanzengeografisch angelegt, im Westen liegt Amerika mit den dort heimischen Pflanzen, Asien liegt am südöstlichen Ende des Gartens und in der Mitte Europa und das Alpinum mit den Hochgebirgspflanzen.
Das optimale Ausflugsziel für einen trüben kalten Wintertag sind die sieben großen Schaugewächshäuser im Botanischen Garten, in denen sich Pflanzen ferner Klimazonen wohlfühlen. Beeindruckend grün ist es im warm-feuchten Tropenhaus, mit Lianen, Bambus, Bananen, Kakao-, Muskat- und Gewürznelkenbaum oder der bis zur Decke wachsenden Fischschwanzpalme. «Das Grün beruhigt nicht nur, sondern öffnet den Geist, lässt einen besser denken, senkt Blutzuckerspiegel, Cholesterin und Stresshormone», weiß der Gartenfachmann. Ein idealer Rückzugsort also nicht nur fürs stressgeplagte Uni-Personal.
Noch etwas feuchter ist die Luft im Victoriahaus mit Mangroven und tropischen Wasserpflanzen (darunter die namensgebende Victoria, die größte Seerose der Welt). Auch die Titanenwurz, für die der Botanische Garten berühmt ist, steht im Victoriahaus, zurzeit mit drei gigantischen Blättern. Im Nebelwaldhaus herrschen gemäßigte Temperaturen und hohe Luftfechte, ideale Bedingungen für Pflanzen aus tropischen Hochgebirgslagen wie Farne oder Riesenschachtelhalme.
Das Wüstenhaus Afrikas beherbergt unter anderem eine Vielzahl von Sukkulenten, zu denen auch die als lebende Steine bekannten Mittagsblumengewächse (Aizoaceae) oder der Butterbaum (Cyphostemma currorii) gehören. »Die Exemplare in Kiel sind die größten Butterbäume außerhalb ihres Verbreitungsgebiets«, erklärt Nickol stolz.
Eine weitere Besonderheit im Afrikahaus ist die Welwitschie. Sie kann 3.000 Jahre alt werden und besitzt nur ein einziges Blattpaar. Kakteen sucht man übrigens im Afrikahaus vergeblich. Das natürliche Vorkommen der Kakteen ist – bis auf eine Art – auf den amerikanischen Kontinent beschränkt, daher ist die rund 600 Arten umfassende Kakteen-Sammlung folgerichtig auch nur im Wüstenhaus Amerika zu finden. Ein mildes Klima kennzeichnet das Subtropenhaus, in dem eine Sammlung von Nutzpflanzen wie Zitrusgewächsen, Kaffee und Tee, Kapern, Baumwolle und Sesam, Passionsfrucht und Mate gedeiht. Das Mediterranhaus ist den Pflanzen des Mittelmeergebiets, der Kanarischen Inseln sowie klimatisch entsprechender Zonen mit trockenen Sommern und milden, regenreichen Wintern in Afrika, Kalifornien, Süd-Chile und Australien gewidmet.
Unvorstellbare 14.000 Pflanzenarten werden im Botanischen Garten kultiviert. Martin Nickol kennt sie vermutlich alle mit Namen und zu vielen seiner Schützlinge hat er spannende Geschichten parat. «Ich bin immer erstaunt, wenn mich jemand fragt, ob wir auch etwas Besonderes haben. Wenn man bedenkt, dass in Deutschland etwa 4.000 Pflanzenarten wachsen, und wir hier 14.000 haben, können Sie sich vorstellen, dass man durchaus Dinge sieht, die man sonst niemals sehen würde.«
Beim Besuch des Gartens empfiehlt er den Blick in alle Richtungen schweifen zu lassen. Also nicht nur nach unten oder oben zu gucken, sondern sich zu öffnen. »Wir sind auf vielen Ebenen vielfältig. Gehen Sie mal durch den Garten und achten Sie auf Ihre Füße, wir haben Sandwege, gepflasterte Wege und moosbewachsene Wege. Sie können mit Ihren Füßen fühlen, wo Sie sind. Das nimmt man so nicht unbedingt wahr, aber man geht beglückt nach Hause.«
Autorin: Kerstin Nees
Weitere Informationen: www.botanischer-garten.uni-kiel.de/de
Gärtner/-in lernen im Botanischen Garten
Der Botanische Garten ist der größte Ausbildungsbetrieb im Zierpflanzenbau in Schleswig-Holstein und bietet eine Ausbildung zur Zierpflanzengärtnerin oder zum Zierpflanzengärtner an. Zurzeit gehören zwölf Azubis zum Team. Voraussetzung für die Ausbildung ist mindestens ein guter Hauptschulabschluss sowie ein Praktikum im gärtnerischen Bereich. Für die im August 2019 beginnenden Ausbildungsstellen ist die Bewerbungsfrist allerdings bereits abgelaufen. Zusätzlich zu den 13 festen Azubistellen bietet der Freundeskreis des Botanischen Gartens auch die Möglichkeit, im Rahmen eines Freiwilligen Ökologischen Jahres zum Erhalt der Pflanzenvielfalt beizutragen.