
Wann ist eine Insel eine Insel?
Und warum ist das wichtig? Diese Fragen thematisierte Professorin Nele Matz-Lück in einem Vortrag während der Kieler Woche. Im unizeit-Interview erklärt die Kieler Völkerrechtlerin, warum die Definition von Inseln so strittig ist.

Setzt sich mit der Definition von Inseln auseinander: Seerechtsexpertin Nele Matz-Lück.
unizeit: Was ist eine Insel? Und was unterscheidet einen Felsen von einer Insel?
Nele Matz-Lück: Eine Insel ist eine natürliche Erhebung, die bei Flut aus dem Wasser ragt. Felsen sind in der Regel nicht geeignet für menschliche Bewohnung und Bewirtschaftung. Wenn Menschen auf einer natürlichen Erhebung nicht leben können, dann spricht vieles dafür, dass es ein Felsen ist und keine Insel – auf die Größe kommt es da erst einmal nicht an.
Warum ist eine solche Unterscheidung wichtig?
Die Weltmeere sind in verschiedene Zonen aufgeteilt. Diese werden vom Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (SRÜ) von 1982 festgelegt. Ökonomisch wichtig sind die Ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ) und der Festlandsockel, die sich bis zu 200 Seemeilen von der Basislinie – der Niedrigwasserlinie entlang der Küste eines Staates - ausdehnen. In diesen Bereichen kann der jeweilige Staat über die natürlichen Ressourcen, wie Gas, Öl oder Fischereigründe, wirtschaftlich verfügen. Festland und auch Inseln können diese Wirtschaftszonen erzeugen, Felsen nicht.
Das klingt eindeutig. Trotzdem gibt es immer wieder politische Auseinandersetzungen um Inseln. Woran liegt das?
Es sind die vage Definition von Inseln und vor allem die in Artikel 121 Absatz 3 SRÜ erwähnten Elemente, die einen Felsen von einer Insel unterscheiden sollen. Allein die Angabe, dass eine Insel bei Flut aus dem Wasser ragen muss, wirft weitere Fragen auf: Was bedeutet Flut? Normale Flut? Springflut? Über welches Hochwasser sprechen wir? Auch das Verständnis, dass eine Insel nur dann als solche gilt, wenn darauf autark gelebt werden kann, sonst aber ein Felsen ist, geht meiner Meinung nach etwas zu weit. So gesehen leben wir auf dem Festland auch nicht autark.
Und Sie beschäftigen sich damit, weil ...?
Auslöser für meine Arbeit war der prominente Rechtsstreit zwischen den Philippinen und China um Inseln im Südchinesischen Meer. 2016 wurde ein Schiedsspruch erlassen, der Chinas historische Besitzansprüche an dem Spratley-Archipel für nichtig erklärt. Das Besondere: Der Schiedsspruch beinhaltet eine Wort-für-Wort-Auslegung des SRÜ-Artikels zur Definition von Felsen, um diese von Inseln abzugrenzen. Darauf wurde im internationalen Seerecht lange gewartet. Mit dem Schiedsspruch wird der Artikel erstmals mit Rechtsverbindlichkeit zwischen den Parteien ausgelegt. Danach sind alle Erhebungen um das Spratley-Archipel höchstens Felsen.
Auch, wenn Versuche unternommen werden, um zu zeigen, dass Menschen dort leben können – etwa durch den Bau von Landebahnen. Das Schiedsgericht hat in diesem Fall allerdings nicht über die Staatszugehörigkeit des Archipels entschieden, sondern nur, ob es einen Anspruch auf eine AWZ und einen Festlandsockel samt der damit einhergehenden exklusiven Ressourcenrechte gibt oder nicht. Wer die sehr ertragreiche Wirtschaftszone geltend machen kann, wurde nicht geklärt. China lehnt den Schiedsspruch ab, die Philippinen anscheinend mittlerweile auch.
Gibt es weitere Beispiele?
Taiwan etwa beansprucht Itu Aba, eine Erhebung, die ebenfalls zum Spratley-Archipel gehört. Hier, wie auch um das gesamte Spratley-Areal, werden große Ölvorkommen vermutet. Um zu beweisen, dass Itu Aba eine bewohnbare Insel ist und ferner auf Grund geografischer Nähe unter taiwanische Flagge gehört, trank der ehemalige Staatspräsident Ma Ying-jeou vor laufender Kamera aus einer Flasche, die angeblich Grundwasser von Itu Aba enthielt. Dennoch ist auch Itu Aba nach dem Schiedsspruch nur ein Felsen ohne Anspruch auf AWZ und Festlandsockel. Anders sieht es im südlichen Ozean für Frankreich aus. Hier gibt es kleine, unbewohnbare Erhebungen, bei denen nie angezweifelt wurde, dass es sich um Inseln handelt. Die ertragreichen Zonen um die Inseln herum werden von Frankreich ausgebeutet. Mit dem Schiedsspruch müsste das jetzt eigentlich grundlegend in Frage gestellt werden.
Es ist also nicht einfacher geworden, Inseln von Felsen zu unterscheiden.
Im internationalen Seerecht erst einmal nicht. Da gibt es noch viel zu tun.
Das Interview führte Melanie Huber
Die Seerechtsexpertin Nele Matz-Lück ist seit 2011 Professorin an der CAU, Ko-Direktorin des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht und zudem Professorin im Nebenamt an der Universität Tromsö, Norwegen. Sie ist Mitglied des Exzellenzclusters »Ozean der Zukunft« und seit 2018 Mitglied des Landesverfassungsgerichts Schleswig-Holsteins.
unizeit-Suche:
In der unizeit ab Ausgabe 93 suchen
In den unizeit-Ausgaben 27-93 suchen
unizeit #95
unizeit als PDF
Archiv
Kontakt
unizeit@uni-kiel.de
0431/880-2104
Abo, Feedback und Termine