
Zwei Kieler in Boston
In der Wissenschaft machen es Videokonferenzen zurzeit leichter, an den zahlreichen Meetings und Vorträgen teilzunehmen. Digital nicht zu ersetzen sind jedoch internationale Forschungsaufenthalte. Zwei Nachwuchswissenschaftler aus dem Forschungsschwerpunkt KiNSIS berichten, warum ihre Zeit in Boston, USA, für ihre Promotion so wichtig war.

Perfekt sind US-amerikanische Eliteunis auch nicht, aber für die eigene Forschung können sich ein paar Monate vor Ort allemal lohnen, stellten die Materialwissenschaftler Stefan Schröder (links) und Leonard Siebert in Boston fest.
Einmal zwischen den roten Backsteinmauern der ehrwürdigen US-Traditionsuni Harvard wandeln oder durch den hohen Säuleneingang das Massachusetts Institute of Technology, besser bekannt als MIT, betreten – das war zwar eine reizvolle Vorstellung, aber nicht der Grund, warum sich die Materialwissenschaftler Stefan Schröder und Leonard Siebert entschieden, während ihrer Promotion für drei Monate an die nordamerikanische Ostküste nach Boston zu gehen. Mittlerweile haben beide ihren Doktortitel längst in der Tasche, doch ihre Erfahrungen wirken noch immer nach. Vor kurzem ist Sieberts wissenschaftlicher Aufsatz zu einem neuartigen Gelpflaster erschienen, für den er zentrale Experimente an der Harvard Medical School durchgeführt hat. Das Pflaster enthält zusätzliche Wirkstoffe, die je nach Bedarf mit Licht gezielt aktiviert werden können. »An dieser Art Biomaterialien forscht hier keiner. In Harvard gibt es Expertinnen und Experten, mit denen ich gemeinsam eine Methode entwickeln konnte, wie sich solche Pflaster mit speziellen Bio-3-D-Druckern herstellen lassen«, erläutert Siebert seine Beweggründe für den Sprung über den Atlantik. Über gemeinsame Kontakte seiner Arbeitsgruppe »Funktionale Nanomaterialien« unter der Leitung von Professor Rainer Adelung kam er mit den Kolleginnen und Kollegen aus Boston ins Gespräch.
Stefan Schröder arbeitet am Lehrstuhl für Materialverbunde von Professor Franz Faupel mit dem sogenannten iCVD-Verfahren (»initiierte chemische Gasphasenabscheidung«). Das ist eine spezielle Methode, durch die sich auch komplizierte Oberflächen extrem wasserabweisend beschichten lassen. »Ich wollte gern mit der Entwicklerin, Professorin Karen Gleason vom MIT, arbeiten und Franz Faupel hat sie einfach angeschrieben und den Kontakt hergestellt. Die Methode mit ihr selbst vor Ort diskutieren zu können, war natürlich toll und ich habe dadurch so viel gelernt.«
Stefan Schröder und Leonard Siebert haben ihre Promotion in diesem Jahr abgeschlossen. Sie wissen: Wer eine Karriere in der Wissenschaft anstrebt, für den ist es gewissermaßen Pflicht, eine Zeit lang an einer Universität oder Forschungseinrichtung in einem anderen Land gearbeitet zu haben. Und dass eine renommierte Adresse wie Harvard oder das MIT dabei nicht schaden können. »Aber letztendlich kommt es vor allem darauf an, dass die Arbeitsgruppe thematisch gut passt. Sein eigenes Forschungsthema zu finden und zu schärfen, ist nicht ganz einfach, und dabei kann ein Forschungsaufenthalt helfen«, sagt Schröder, der im Sonderforschungsbereich 1261 »Biomagnetische Sensorik« promoviert wurde. Das auf mehrere Jahre angelegte Großforschungsprojekt unterstützt seine Promovierenden finanziell dabei, internationale Erfahrungen zu sammeln und wichtige Kontakte zu knüpfen. Sieberts Kosten für Reise, Unterkunft und Visum wurden von seiner Arbeitsgruppe übernommen.
Doch neben vielen tollen Chancen, wissenschaftlichen Erkenntnissen und neuen Kontakten gehören auch schwierige Momente dazu. Anders als im Auslandssemester während des Studiums bleibt neben der Forschungsarbeit im Labor wenig Raum für Freizeit. »Viele sitzen bis nach Mitternacht im Institut, da bleiben die Beziehungen zu den Kollegen eher auf Arbeitsebene. Am besten, man schließt sich zum Beispiel einem Ruderkurs an oder kauft sich ein günstiges Fahrrad, um selbstständig unterwegs sein zu können«, rät Siebert.
Doch oft sind gerade die Arbeitsbeziehungen sehr intensiv und es entstehen – wie bei Siebert und Schröder – langjährige Kooperationen und neue Forschungsprojekte, die sie jetzt nach ihrer Promotion weiterführen. Die bekannten Universitäten ziehen Forschende und Studierende aus der ganzen Welt an und schaffen so eine besondere internationale Atmosphäre. »Hier wirst du an der Bushaltestelle einfach gefragt, was du so machst und warum du hier bist. Ich habe mich nie als Fremder gefühlt«, erinnert sich Schröder. Nur an zwei Dinge, da sind er und Siebert sich einig, konnten sie sich in Boston nicht gewöhnen: »Kaffee und Brot – die sind hier wirklich eine Katastrophe!«, lacht Siebert.
Autorin: Julia Siekmann
Über den CAU-Forschungsschwerpunkt KiNSIS:
Im Nanokosmos herrschen andere, quantenphysikalische, Gesetze als in der makroskopischen Welt. Strukturen und Prozesse in diesen Dimensionen zu verstehen und die Erkenntnisse anwendungsnah umzusetzen, ist das Ziel des Forschungsschwerpunkts »Nanowissenschaften und Oberflächenforschung« (Kiel Nano, Surface and Interface Science – KiNSIS) der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU). In einer intensiven interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen Physik, Chemie, Ingenieurwissenschaften und Life Sciences könnten daraus neuartige Sensoren und Materialien, Quantencomputer, fortschrittliche medizinische Therapien und vieles mehr entstehen. www.kinsis.uni-kiel.de
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