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Nr. 34, 28.01.2006  voriger  Übersicht  weiter  REIHEN  SUCHE 

Auf Anhieb abhängig

Abhängigkeit ist keine Frage des Willens, sondern der persönlichen Veranlagung. So sieht es die aktuelle Suchtforschung. Daher liegt schon in jedem Erstkontakt und Ausprobieren ein unkalkulierbares Risiko.


Foto: pur.pur

»Sucht ist eine Krankheit, die mit Veränderungen im Gehirn einhergeht.« Mit diesen Worten macht Dr. Horst Engel, Oberarzt vom Zentrum für Integrative Psychiatrie der Kieler Universitätsklinik, klar, dass es nicht allein ein Mangel an Disziplin ist, der manche Menschen zu Süchtigen macht. »So unterschiedlich die Menschen sind, so unter­schiedlich ist auch ihr Risiko, Abhängigkeits­krankheiten zu ent­wickeln«, ergänzt Dr. Dunja Hinze-Selch. »Das ist genetisch festgelegt.« Im Fachjargon spricht man von Vulnerabilität, der persönlichen Verwundbarkeit. Nicht die Abhängigkeit selbst ist genetisch festgelegt, sondern die Art und Weise, wie die Strukturen und chemischen Botenstoffe im Gehirn auf den Kontakt mit einem Suchtmittel reagieren.

Hinze-Selch: »Wenn ich eine Vulnerabilität für ein bestimmtes Suchtmittel habe, dann ist der Effekt, wenn es einmal das Rezeptorsystem im Gehirn trifft, so toll, dass sich das System verändert, ein Belohnungssystem springt an. Habe ich eine andere Rezeptorausstattung, nehme ich das ein und sage, eigentlich ist mir schlecht geworden.« Das bedeutet, Menschen mit einer günstigen Konstellation haben kein großes Problem, abstinent zu leben beziehungsweise Drogen oder Alkohol zu konsumieren, ohne in eine Abhängigkeit zu geraten. Bei ungünstiger Ausstattung reicht ein einziger Kontakt mit der Droge, um ein erhebliches Problem zu bekommen. Deshalb hält die Kieler Oberärztin an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie auch nichts von dem Ansatz, Jugendliche sollten ruhig alles ausprobieren, schließlich wecke oder verstärke ein Verbot das Interesse gar noch. Die Ärztin dagegen: »Ich weiß ja nicht, wie die einzelnen Personen ausgestattet sind. Wenn ich nun sage, probiere einfach mal alles aus, helfe ich unter Umständen Personen auf die Sprünge. So bringe ich sie in eine Problematik, die sie vielleicht nicht hätten, wenn ich sagen würde, lass es sein. Und wenn Du ausprobieren willst, dann tu das kontrolliert und mit dem Wissen um dieses erhebliche Risiko.«

Eine »Suchtpersönlichkeit«, die auf alle Suchtmittel in gleicher Weise reagiert, gibt es jedoch nicht. Die Vulnerabilität ist substanzbezogen. Bei dem einen löst die Zigarette diesen Effekt aus, bei dem anderen der Alkohol. Auch durch nicht stoffliche Suchtmittel wie Glücksspiele, können die Gehirnstrukturen und Rezeptorsysteme verändert werden. Auslöser sind hier Rituale und typische Geräusche. In Automaten-Spielhallen sind es zum Beispiel die typischen Klacker-Geräusche, beim Roulette ist es etwa die Art und Weise, wie die Kugel hineingeworfen wird. Das hat man auch experimentell nachgewiesen, indem man die Reaktionen des Gehirns bildlich darstellte. »Bei den Betroffenen geht der Knall im Gehirn los, einfach nur, wenn dieses Ambiente hörbar wird«, so Hinze-Selch. Die Rituale werden also nicht ohne Grund aufrechterhalten. Man könnte beim Kartenspiel die Karten auch ganz leise auslegen, sie werden aber mit einem lauten Geräusch herausgegeben und schleifen dann über einen Tisch. Das führt bei vulnerablen Personen dazu, dass die Rezeptorsysteme anspringen, die genau das brauchen.

Durch fortgesetztes Suchtverhalten treten dann aber die genetischen Aspekte in den Hintergrund. Nach zehn Jahren Sucht, seien es Alkohol, Medikamente, illegale Drogen oder Glücksspiel, haben sich die Menschen gleichermaßen verändert, insofern als sie ihr Leben komplett auf die Sucht einrichten. Dr. Engel: »Es gibt bei allen Süchtigen drei Stadien der Suchtentwicklung, die in der Regel durchlaufen werden. Im Gefährdungsstadium ist der eine, wie oben beschrieben, eher für die Entwicklung einer Alkoholabhängigkeit, ein anderer für die Entwicklung einer Drogenabhängigkeit gefährdet. An das kritische Stadium mit der Jagd nach der Droge und dem Kontrollverlust schließt sich als letztes Stadium die Abhängigkeit an.«

Der Trend der modernen und forschungsunterstützten Suchtbehandlung geht zum individuellen Vorgehen, das die Therapeuten gemeinsam mit dem Betroffenen festlegen. Es gibt die Möglichkeit, in Gruppen zu behandeln oder in Einzeltherapie. Die Therapieoptionen sind vielfältiger geworden. Unterstützt wird die Suchtbehandlung häufig auch durch Medikamente, die in die Hirnchemie eingreifen. »Nach einem Alkoholentzug kann man zum Beispiel Substanzen einsetzen, die bei Konsum von Alkohol zu Übelkeit und Erbrechen führen. Dadurch können für bestimmte Betroffene Rückfälle in die Sucht verhindert werden. Ebenso kommen Substanzen zum Einsatz, die Abstinenzzeiten verlängern und das ›craving‹ – das Suchtverlangen – unterdrücken«, erklärt Engel. (ne)

www.zip-kiel.de/2psychiatrie/2sp/209sucht.htm
www.lssh.de
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