Trinker-Gen
Kieler Wissenschaftler haben im Rahmen eines multinationalen Forschungsprojekts eine genetische Abweichung gefunden, die mit der Alkoholsucht in Zusammenhang steht.

»Wenn man viele eineiige Zwillingspaare untersucht, dann fällt auf, dass bestimmte Merkmale wie Krankheiten und auch das Suchtverhalten häufig bei beiden Zwillingen gleichermaßen vorhanden sind. Aus diesen Untersuchungen kann man daher schließen, dass es auch für Alkoholabhängigkeit eine erbliche Komponente gibt.« Zumindest einen der genetischen Faktoren, die bei der Alkoholsucht eine Rolle spielen, haben Wissenschaftler des Nationalen Genomforschungsnetzes jetzt identifiziert: Professor Rainer Spanagel und sein Team vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim haben bei Mäusen ein verändertes Gen gefunden, das offenbar ursächlich mit einem erhöhten Alkoholkonsum verknüpft ist. Es erhöht das persönliche Risiko in eine Alkoholabhängigkeit zu geraten. Dieses Gen gehört zur Gruppe der Period-Gdem mutierten Per2-Gen ist dieser Rhythmus gestört. Außerdem nahmen sie dreimal soviel Alkohol zu sich wie ihre gesunden Artgenossen, als man ihnen die Wahl zwischen Wasser und Alkohol ließ. Anders ausgedrückt: Wenn die innere Uhr aus dem Takt gerät, steigt die Lust auf Alkohol.
Auch für Menschen sind diese Ergebnisse relevant, wie die Untersuchungen am Institut für klinische Molekularbiologie ergeben haben. »Wir haben eine Mutation in diesem Gen für die innere Uhr auch beim Menschen nachgewiesen. Wir haben veränderte Genabschnitte gefunden, die mit einem erhöhten Alkoholkonsum assoziiert waren«, berichtet Schreiber, der auch im Kieler Forschernetzwerk »Ozean der Zukunft« mitarbeitet. Dies passt zu der Beobachtung, dass Schichtarbeiter, Flugpersonal und andere Menschen, bei denen der Tag-Nacht-Rhythmus durcheinander gerät, häufiger Alkoholprobleme haben. Das Bindeglied zwischen der fehlgesteuerten inneren Uhr und dem erhöhten Alkoholkonsum ist eine chemische Substanz, der Botenstoff Glutamat. Im Gehirn der genetisch veränderten Mäuse lagen hohe Konzentrationen des »Muntermachers« Glutamat vor. Auch im Gehirn alkoholkranker Menschen ist vermehrt Glutamat zu finden. Die neuen Studienergebnisse sprechen dafür, dass manche Menschen genau wie die Mäuse mit mutiertem Per2-Gen von Anfang an relativ viel Glutamat im Gehirn haben. Die Tiere vertragen dann mehr Alkohol und trinken auch mehr.
Mit dem Medikament Acamprosat (Campral® ) lässt sich die Glutamatwirkung im Gehirn abschwächen. Die Einnahme des so genannten »Anticraving«-Mittels kann das Verlangen nach Alkohol reduzieren und wird nach einer Entzugsbehandlung als zusätzliche Maßnahme empfohlen, um Rückfällen vorzubeugen. Es wirkt jedoch nicht bei allen Menschen. Bei den »alkoholkranken« Mäusen war die Substanz erfolgreich: Die Glutamat-Konzentration im Gehirn der Tiere mit dem mutierten Per2-Gen sank, und ihr Alkoholkonsum glich sich dem der normalen Mäuse an. »Wir vermuten jetzt, dass das Medikament hauptsächlich bei Personen wirkt, deren Glutamatstoffwechsel gestört ist, zum Beispiel wegen einer Mutation im Per2-Gen«, so Professor Rainer Spanagel. »Mittlerweile arbeiten wir an einem Test, der diese Patienten zuverlässig identifiziert. Dadurch können wir hoffentlich bald vorhersagen, wem Acamprosat hilft.«
Die Ergebnisse der in der renommierten Fachzeitschrift »Nature Medicine« veröffentlichten Studie* bieten außerdem einen neuen Ansatzpunkt für das Verständnis von Sucht und damit neue Möglichkeiten, Suchtkranken zu helfen. Schreiber: »Wird man vielleicht süchtig, weil der Tag-Nacht-Rhythmus gestört ist und die Erholung in der Nacht fehlt? Vielleicht kann man die Sucht durch diese Erkenntnis auch vorbeugend angehen, indem man versucht, gezielt den Tag-Nacht-Rhythmus zu verbessern.« (ne)
Spanagel, R. et al.: The Clock gene Per2 influences the glutamatergic system and modulates alcohol consumption. Nature Medicine. 2005;11:35-42
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