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Nr. 35, 08.04.2006  voriger  Übersicht  weiter  REIHEN  SUCHE 

Meeresapotheke

Schmerzmittel aus Meeresschnecken, Krebsmedikamente aus Schwämmen – marine Organismen produzieren Stoffe mit Arzneiwirkung. Das neu gegründete Zentrum für marine Wirkstoffe am Leibniz-Institut für Meereswissenschaften widmet sich gezielt der Erforschung von Wirkstoffen aus marinen Mikroorganismen.


Marine Schwämme sind eine besonders interessante und ergiebige Quelle für potenzielle Arzneimittel. Auf dem Foto zu sehen ist der im Mittelmeer weit verbreitete Schwamm Aplysina aerophoba. Foto: Sven Neulinger (IFM-GEOMAR)

Die Kieler Meereswissenschaftler folgen damit einem internationalen Trend: Weltweit boomt die Forschung mit biologisch aktiven Substanzen aus marinen Organismen. Denn der Lebensraum Meer ist im Hinblick auf die medizinische Nutzung noch weitgehend unerkundet. Hier besteht daher noch die Chance, grundlegend neuartige Strukturen zu entdecken und darauf aufbauend neue Arzneimittel gegen Infektionen, Krebserkrankungen oder Entzündungen entwickeln zu können. Inzwischen wurden schon einige Substanzen gefunden, die vielfältigen Nutzen für den Menschen versprechen, zum Beispiel Wirkstoffe gegen Krebserkrankungen. Bereits auf dem Markt ist ein Schmerzmittel mit völlig neuem Wirkmechanismus: Ziconotid, die synthetische Version eines Gifts, das die südpazifische Meeresschnecke Conus magus benutzt, um ihre Beute zu lähmen. Nach Angabe des Herstellers ist Ziconotid tausendmal so wirksam wie Morphium.

Eine besonders interessante und ergiebige Quelle für potenzielle Arzneimittel sind Schwämme. Denn die auf dem Meeresboden festsitzenden Lebewesen können sich nur mit Hilfe ›chemischer Waffen‹ vor Fressfeinden wie Fischen oder Krebsen schützen. Außerdem bilden Schwämme häufig Lebensgemeinschaften mit Mikoorganismen wie Pilzen, Bakterien und Mikroalgen, die ebenfalls interessante Stoffe produzieren. »Schwammgewebe enthält bis zu 40 Prozent an Bakterien. Diese sind nicht nur Nahrung für den Schwamm, sie haben auch andere Funktionen, deren Komplexität erst seit wenigen Jahren untersucht wird«, erklärt der Kieler Meeresbiologe Professor Johannes F. Imhoff, der dem Kieler Forschernetzwerk ›Ozean der Zukunft‹ angehört. »Wir gehen heute davon aus, dass der Schwamm ein Verteidigungssystem mit chemischen Abwehrstoffen aufgebaut hat, an dem auch Mikroorganismen beteiligt sind.«

Imhoff leitet das neue Zentrum für marine Wirkstoffforschung, das mit Mitteln des Schleswig-Holstein-Fonds in Höhe von 2,7 Millionen Euro am Leibniz-Institut für Meereswissenschaften eingerichtet wurde. Die Kernaufgaben des Zentrums liegen in der Erforschung neuer Wirkstoffe aus marinen Mikroorganismen und ihrer Weiterentwicklung zu marktfähigen Produkten. Imhoff erklärt, wie er dabei vorgeht: »Zunächst isolieren wir die Mikroorganismen aus Schwammgewebe. Das ist wichtig, damit man, falls tatsächlich ein interessanter Stoff gefunden wird, später einen Organismus hat, den man auch in Massen kultivieren kann. In einem zweiten Schritt prüfen wir seine biologische Aktivität.« Dazu nutzen die Wissenschaftler gemeinsam mit Partnern der CAU Kiel verschiedene Testverfahren, mit denen sie prüfen können, ob die Substanz Bakterien, auch mehrfach resistente, oder Viren abtötet, ob sie die Vermehrung von Tumorzellen hemmt oder Entzündungsprozesse unterdrückt. Finden sich hierbei Substanzen mit biologischer Aktivität, wird deren chemische Struktur analysiert. Nur durch einen Abgleich kann ausgeschlossen werden, dass die Verbindung bereits bekannt ist.

Bei der weiteren Entwicklung zu Arzneimitteln setzen die Forscher vor allem auf den Ausbau von Partnerschaften mit der regionalen Wirtschaft und der medizinischen Forschung in Schleswig-Holstein.

Als Mitglied des vom Bundeswissenschaftsministerium geförderten Kompetenzzentrums »BIOTEC­marin«, in dem bundesweit sieben Universitäten zusammenarbeiten, ist Imhoff auch beteiligt an der Erforschung von Sorbicillacton A. Die Substanz wird von dem Pilz Penicillium chrysogenum produziert, der aus dem Mittelmeerschwamm Ircinia fasciculata isoliert werden konnte. Sorbicillacton A wirkte in Zellkulturen und Tierversuchen gezielt gegen Leukämiezellen. Es kommt damit als möglicher neuer Arzneistoff zur Behandlung von Patienten mit Leukämieerkrankungen in Frage. Die Entwicklung der Substanz ist bereits weit fortgeschritten, die präklinischen Untersuchungen sind abgeschlossen. Jetzt suchen die Wissenschaftler Partner aus der Industrie für die aufwändigen klinischen Studien, die Untersuchungen am gesunden und kranken Menschen. Für die biotechnologische Produktion mit dem P. chrysogenum- Stamm ist Imhoffs Team zuständig. Andere Verbundspartner arbeiten an der chemischen Synthese der Substanz. »Wir haben das Know-how für die Kultivierung des Organismus’ und können durch Massenkultur des P. chrysogenum-Stammes Sorbicillacton A im 100-Gramm-Maßstab herstellen.« Damit der Nachschub auch größerer Mengen gesichert werden kann, arbeiten die Wissenschaftler an der weiteren Optimierung des Produktionsprozesses. (ne)

www.biotecmarin.de
www.ifm-geomar.de
www.ozean-der-zukunft.de
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