Theologie und Diktatur
Amtsenthebung oder glänzende Karriere – zwei unterschiedliche Karriereverläufe an der Theologischen Fakultät unter der NS-Diktatur

Um ihr Herrschaftssystem zu etablieren, brauchten die Nationalsozialisten auch die Kontrolle über die Kirche: Reichsbischof Ludwig Müller, hier bei einem Besuch in Hamburg 1934, stand von 1933-45 an der Spitze der neu organisierten Deutschen Evangelischen Kirche. Foto: Nordelbisches Kirchenarchiv
Der Kieler Historiker Hansjörg Buss hat sich intensiv mit Redeker befasst. Für das »lokale Fenster« der Wanderausstellung »Kirche, Christen, Juden in Nordelbien 1933 – 1945«, die im vergangenen Jahr zuletzt im Landeshaus Kiel zu sehen war, hat er Dokumente zusammengetragen, die Redekers antisemitische Einstellung und sein Eintreten für den Nationalsozialismus belegen. In der Veröffentlichung zur Ausstellung schreibt Buss: »Martin Redeker hatte sich bereits 1933 für die westfälischen Deutschen Christen (DC) engagiert. Seine Predigten sind von der inhaltlichen und sprachlichen Anlehnung an den Nationalsozialismus und einem aggressiven Antisemitismus gekennzeichnet.« Redeker war Mitglied des im Mai 1939 gegründeten »Instituts zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben« in Eisenach.
Seine Berufung an die Kieler Universität erfolgte im Zuge der nationalsozialistischen Umgestaltung der Theologischen Fakultät. Nach dem Willen des Reichswissenschaftsministeriums sollte die Fakultät durch Neu- und Umbesetzungen der Lehrstühle so ausgebaut werden, dass sie, so der entsprechende Erlass an den Rektor der Kieler Universität, »die Gewähr für eine weltanschauliche und nationalpolitische Erziehung und Ausbildung der Theologiestudierenden bietet.« Der personelle Umbau war gründlich: 1935/36 wurde die beamtete Professorenschaft der Fakultät durch Entpflichtung, Versetzung und Berufung nach auswärts vollständig entfernt, zusätzlich wurde zwei Privatdozenten die Lehrbefugnis entzogen. Auch Redekers Vorgänger, der liberale Theologe Hermann Mulert, wurde aus politischen Gründen 1935 zwangsweise in den Ruhestand versetzt.
Dass Redeker die Professur annahm, obwohl sein Vorgänger aus dem Dienst entfernt wurde, sollte man ihm nicht vorwerfen, meint Professor Johannes Schilling vom Institut für Kirchengeschichte. »Die Professur abzulehnen, erfordert schon ein hohes Maß an moralischer Kraft, die man von einem jungen Wissenschaftler in dieser Situation kaum erwarten kann, er hatte eine Stelle.« Gleichwohl muss Redeker klar gewesen sein, was von ihm erwartet wurde: Die Theologie sollte den staatlichen Interessen dienstbar gemacht werden. Er passte sich an. »Er war der Überzeugung, Religion und Kirche sollten ein Teil der allgemeinen Kulturentwicklung sein«, so Schilling.
Der Kirchenhistoriker Kurt Dietrich Schmidt dagegen vertrat die klassische lutherische Position, wonach Staat und Kirche unterschieden bleiben müssen. Schilling: »Gott wirkt auf zweierlei Weise, zum einen in der Kirche, durch das Evangelium, und zum anderen in der Welt, durch die weltlichen Gesetze. Die Unterscheidung der zwei Bereiche impliziert auch unterschiedliche Zuständigkeiten.« Sprich: Der Staat hat sich in Glaubensinhalte und Kirchenverfassung nicht einzumischen. Mit dieser Position widersprach Schmidt dem Totalitätsanspruch der nationalsozialistischen Ideologie. »Schmidt hat sich in diesem Fall ganz klar für die Haltung, ›Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen (Apostelgeschichte 5,29)‹ entschieden. Diese Haltung führte dann auch zu seiner Entlassung«, so Schilling.
Nach dem zwangsweise herbeigeführten einstweiligen Ende seiner universitären Laufbahn war er bis zum Ende der nationalsozialistischen Zeit auf einer Dozentenstelle am lutherischen Missionsseminar in Hermannsburg in der Lüneburger Heide tätig. Seine Karriere als Hochschullehrer setzte sich nach Kriegsende in Hamburg, zunächst an der Kirchlichen Hochschule und seit 1953 als ordentlicher Professor an der neu gegründeten Theologischen Fakultät der dortigen Universität fort. Schmidt starb 1964 in Hamburg.
Die Karriere des an die NS-Ideologie angepassten Theologen verlief anders. Nachdem der Lehrbetrieb an der Theologischen Fakultät 1941/42 faktisch zum Erliegen gekommen war, übernahm Redeker im Sommer 1942 ein Militärpfarramt. Nach Kriegsende nahm er seine Lehrtätigkeit wieder auf, war kurzfristig Dekan der Fakultät und wurde im Dezember 1955 mit knapper Mehrheit zum Rektor der Kieler Universität gewählt. Er verzichtete aber auf das Amt, nachdem er wegen antisemitischer Äußerungen in die Kritik geraten war. In den Jahren 1954 bis 1967 hatte Redeker parallel zu seiner akademischen Laufbahn eine politische Karriere als Landtagsabgeordneter der CDU. Er gehörte unter anderem dem Bundesvorstand des evangelischen Arbeitskreises der CDU an. »Redeker hat sich auch um die Fakultät verdient gemacht«, erklärt Schilling. So hat er das Kieler Kloster als evangelisches Studentenheim wiederaufgebaut. Sein größtes wissenschaftliches Verdienst ist die Schleiermacher- Forschung, die im Dezember 1967 zur Gründung der Schleiermacher-Forschungsstelle führte.
Kurt Dietrich Schmidt dagegen hat bei der Neukonstituierung der evangelischen Kirchengeschichtswissenschaft nach 1945 eine bedeutende Rolle gespielt. Sein 1949 erstmals erschienenes Lehrbuch »Grundriss der Kirchengeschichte« prägte lange Zeit die Vorstellung von dieser theologischen Disziplin. Nach Kriegsende hat Schmidt entscheidend dazu beigetragen, die Geschichte der evangelischen Kirche im Nationalsozialismus als Gegenstand evangelischer Kirchengeschichtswissenschaft zu etablieren.
»Wie die Lebensläufe zeigen, konnte eine klare theologische Option, insbesondere in schwierigen Zeiten, der Wahrheitsfindung dienen«, resümiert Schilling. »Karriere, Erfolg und wissenschaftliche Bedeutung sind zu unterscheiden.« (ne)
Kirche, Christen, Juden in Nordelbien 1933 – 1945. Die Ausstellung im Landeshaus. Schriftenreihe des Schleswig-Holsteinischen Landtages. Kiel 2006
Thomas Kaufmann, Harry Oelke (Hrsg.): Evangelische Kirchenhistoriker im »Dritten Reich«. Gütersloh 2002.
Reiner Preul (Hrsg.): Hermann Mulert in Kiel. Dokumentation eines Wissenschaftlichen Symposiums der Theologischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität aus Anlass des 50. Todestages. Kiel 2001
Jendris Alwast: Geschichte der Theologischen Fakultät vom Beginn der preußischen Zeit bis zur Gegenwart. Kiel/Neumünster 1988
Hans-Werner Prahl (Hrsg.): Uni-Formierung des Geistes. Universität Kiel im Nationalsozialismus. Band 1. Kiel 1995
Thomas Kaufmann, Harry Oelke (Hrsg.): Evangelische Kirchenhistoriker im »Dritten Reich«. Gütersloh 2002.
Reiner Preul (Hrsg.): Hermann Mulert in Kiel. Dokumentation eines Wissenschaftlichen Symposiums der Theologischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität aus Anlass des 50. Todestages. Kiel 2001
Jendris Alwast: Geschichte der Theologischen Fakultät vom Beginn der preußischen Zeit bis zur Gegenwart. Kiel/Neumünster 1988
Hans-Werner Prahl (Hrsg.): Uni-Formierung des Geistes. Universität Kiel im Nationalsozialismus. Band 1. Kiel 1995
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