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Nr. 51, 13.12.2008  voriger  Übersicht  weiter  REIHEN  SUCHE 

Abgestempelt

Die Zahl der sozial benachteiligten Kinder und Jugendlichen ist hoch. Der Umgang mit dem Problem ist deshalb auch Thema einer Übung für angehende Lehrer.


Wer auf dem Schulhof nicht mit den anderen mithalten kann, sei es aus finanziellen oder anderen Gründen, findet sich schnell in der Rolle des Außenseiters wieder. Foto: Digital Stock

Rund 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland werden bereits zu den sozial benachteiligten gezählt, berichtet Diplom-Pädagogin und Studienrätin Barbara Gleitz. Sozial benachteiligt – dahinter verbirgt sich nicht nur die rein materielle Armut. Auch wenn die Probleme zuhause groß sind, Eltern von Alkohol oder Drogen nicht loskommen oder psychisch erkrankt sind, wird es für das Kind sehr schwierig, in der Schule abzuschalten und sich auf Diktat oder Matheaufgabe zu konzentrieren. Ebenso kann mangelnde Sprachkenntnis ein Migrantenkind daran hindern, im Unterricht die Leistung zu bringen, die ihm in der eigenen Sprache vielleicht möglich wäre.

Gleitz weiß, wovon sie spricht. An einer berufsbildenden Schule in Lübeck unterrichtet sie derzeit zwei Berufseingangsklassen, also Schüler, die nach der Schule ohne Ausbildungsplatz geblieben sind. Sie beschäftigt sich eingehend mit ihren Lebensläufen und Lebenslagen. »Ich finde es wichtig, dass zumindest alle, die einen pädagogischen Beruf ergreifen wollen, sich mit diesem Thema auseinandersetzen«, erklärt Gleitz. An der CAU bietet sie für Lehramtsstudenten in höheren Semestern daher die Veranstaltung »Leben am "sozialen Rand" – Herausforderungen für die schulische Praxis« an. Im Seminar geschieht das in Form von Referaten über Werte und Normen, soziale Ungleichheit oder Lebensstile. Den Referaten folgen dann Diskussionen. Die Studenten haben alle schon ein Praktikum an einer Schule absolviert, können also ihre Erfahrungen aus der Praxis mit einfließen lassen.

»Es fällt auf, dass immer noch viele Studenten stark vom Selektionsgedanken geprägt sind, dass sie glauben, nur eine möglichst einheitliche Ausgangslage der Schüler gewährleiste einen erfolgreichen Unterricht«, sagt Gleitz. »Ich versuche ihnen zu zeigen, dass es auch anders geht. An der Gemeinschaftsschule unterrichten sie später schließlich auch nicht nur die gymnasiale Oberstufe, sondern in der Sekundarstufe alle Schüler.« Patentrezepte könne man nicht vermitteln, aber es sei schon viel damit getan, das Thema einmal explizit anzusprechen, stellt Gleitz fest. So soll zumindest das Bewusstsein für soziale Probleme in den Köpfen der Teilnehmer verankert werden. Denn nicht so sehr die anderen Schüler seien das Problem, eher die Erwachsenen. »Kinder nehmen Unterschiede zwar wahr, bewerten sie aber noch nicht. Das lernen sie unter anderem von Eltern und Lehrern.«

Deshalb sollten Lehrer sich und ihre Werte immer wieder hinterfragen, ihre Rolle kritisch reflektieren. Schüler registrierten sehr gut, wenn ihr Lehrer einen Mitschüler innerlich ablehne, auch ohne diesen öffentlich schlecht zu machen. Lehrer sollten daher eine wertschätzende Haltung gegenüber jedem einzelnen Schüler einnehmen und auch vermitteln. Weil das in der Praxis gar nicht so einfach, und das Fremde vielen zunächst erst einmal Angst mache, befürwortet Gleitz Ansätze, die mehr Gemeinschaftlichkeit und einen vertrauteren Umgang fördern – wie die Gemeinschaftsschule. Und solche Ansätze, die es dem Lehrer ermöglichen, den Schüler auch außerhalb des Klassenraums zu erleben und so mehr Verständnis wecken – wie die Ganztagesschule. Denn oft würden Schwierigkeiten, dem Unterricht richtig zu folgen, mit Unfähigkeit gleichgesetzt.

Aber wie sollte einer, dessen Eltern vielleicht um die nächste Entscheiwarme Mahlzeit ringen, im Unterricht voll präsent sein? Da könne es dann passieren, dass sich im Nachmittagsprogramm der zu Laute oder zu Leise – wenn man ihn lässt – nach dem Unterricht beispielsweise als optimaler Spielgruppenleiter erweist, oder als jemand, der besondere handwerkliche Fähigkeiten hat. Und vielleicht wirke sich ja die dort gewonnene Anerkennung auch positiv auf die Leistung im Schulunterricht aus? Doch selbst wenn der gute Wille da sei, in der derzeitigen Situation sei dieses Ideal für Lehrer schwer zu erreichen, sagt auch Gleitz: »Die Lage der Schulen ist desolat, das ist auch schon bei den Schülern selbst angekommen. Das zeigen die aktuellen Streiks. Die Lehrer bräuchten eigentlich viel mehr Hilfspersonal für ihre Aufgaben, beispielsweise Schulpsychologen und Assistenten. Vielleicht sei es dann tatsächlich möglich, sich dieser großen Aufgabe zu stellen: »Man muss den individuellen Menschen und seine Fähigkeiten hinter den Problemen entdecken – damit man ihm helfen kann, seine Möglichkeiten voll zu entwickeln«, sagt Gleitz.

Jana E. Seidel
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