Bedrohtes Paradies
Die besondere Beziehung von Indianern zur Natur ist legendär. Von ihnen sollte man lernen können, wie natürliche Ressourcen geschont werden. Ein Irrtum. Tatsächlich haben sie ähnliche Probleme wie wir.

Ein Kuna beim Fischfang mittels Holzharpune. Überfischung ist auch an der Karibikküste Panamas ein Problem, trotz traditioneller Fischfangtechniken.
Irritierend für die Wissenschaftlerin war vor allem, dass die Kuna zwar einerseits ein sehr traditionelles Leben führen, sich auf die Kultur und ihre spirituelle Beziehung zur Natur berufen, andererseits aber durch Abbau der Korallenriffe den Lebensraum Meer erheblich schädigen. Ein Umstand, der sich zum Teil damit erklären lässt, dass das Meer erst seit etwa 150 Jahren zur direkten Lebensumwelt der Kuna geworden ist. »Vorher waren sie Waldbewohner «, erklärt die wissenschaftliche Mitarbeiterin am Geographischen Institut. »Mutter Erde, der Wald und die Tiere und Pflanzen des Waldes haben ein stärkeres Gewicht in den Mythen und in dem spirituellen Konzept der Welt. Sie haben diese Beziehung zur Natur zwar auch auf "Großmutter Meer" übertragen. Aber sie hat nicht das gleiche Gewicht. Und Korallen werden in diesem System nicht als lebende Organismen begriffen. Sie gelten als "Steine". Damit ist es auch kein Problem, sie abzubauen.«
Diese Widersprüche zwischen indigenem Naturverständnis und Ressourcenzerstörung beschäftigen Sandner Le Gall bis heute. In ihrer Promotion erforschte sie vor allem, wie indigene Völker Zentralamerikas die Nutzung mariner Ressourcen steuern und welche Institutionen hierbei eine Rolle spielen. Dazu führte sie über 170 Interviews hauptsächlich mit Fischern, mit Frauen, die im Handel aktiv sind oder die Finanzen der Familie managen, und mit Personen, die bestimmte Funktionen innehaben wie Lehrer, Ärzte, lokale Führer, Pastoren oder Schamanen. Das Projekt unter Leitung von Professor Jürgen Bähr und Professor Rainer Wehrhahn wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Rahmen des Schwerpunktprogramms ›Mensch und globale Umweltveränderungen‹ gefördert. Im Sommer erhielt sie für ihre Arbeit den Fakultätspreis.
Neben der Comarca Kuna Yala in Panama bezog die Geografin als Vergleichsgebiet die nördliche Moskitia-Küste Nicaraguas, das Territorium der Miskito, hinzu. Beide Untersuchungsgebiete zählen noch heute zu den am wenigsten erschlossenen Küstenräumen Zentralamerikas. Es finden sich hier ausgedehnte, relativ wenig gestörte Komplexe von Korallenriffen, Seegraswiesen und Mangrovenwäldern. Sie sind Lebensraum vieler zum Teil auch bedrohter Tierarten und für den Natur- und Artenschutz von großer Bedeutung. Dass die ›Schätze des Meeres‹ bedroht sind, hat die einheimische Bevölkerung erkannt. Die lokalen Fischer berichten von erheblich zurückgehenden Fangmengen und abnehmenden Größen der gefangenen Exemplare. »Noch vor weniger als zehn Jahren war die Lagune voller Fische. Es gab große Sägefische, Haie, Rochen und viele andere. Mit einem kleinen Netz konnte man schnell so viele Fische fangen, dass das ganze Boot voll war! Heute ist die Lagune leer.« So äußerte sich ein Miskito-Fischer aus Bismuna, Nicaragua. Ähnlich geht es den Kuna: »Früher fischten wir hier in der Nähe, und fingen viel Fisch in kurzer Zeit. Heute nicht mehr. Es ist nicht mehr wie früher, heute zählt nur noch das Geld.«
Für die Situation an Nicaraguas Küste hat Sandner Le Gall eine Erklärung: »Dort wurde die Fischerei sehr stark intensiviert. Früher haben die Miskito nur für den eigenen Bedarf und den lokalen Markt gefischt.« Seit ihre Fänge in den Fischfabriken der Regionalhauptstadt weiterverarbeitet und von dort exportiert werden, gab es keinerlei Begrenzung. »Es wurde wirklich tonnenweise Fisch und Garnelen aus den Lagunen entnommen und verschifft. Innerhalb von wenigen Jahren ist die Fischerei in Bismuna fast zusammengebrochen. Der Staat hat nicht eingegriffen, die lokalen Behörden auch nicht. Die Miskito haben zwar rasch gemerkt, dass sie ihre eigenen Ressourcen zerstören, haben es aber nicht geschafft, den Fischereifirmen Bedingungen aufzuerlegen.«
Bei den Kuna gibt es zumindest Ansätze, die Ausbeutung des Meeres zu verhindern. Fische werden nach wie vor nur für den lokalen Markt gefangen und für das Exportgut Langusten haben die Kuna eigene Regelungen getroffen. »Es gibt eine Schonzeit und Mindestgrößen, also ganz moderne Maßnahmen des Ressourcenmanagements, die auch kontrolliert werden«, so Sandner Le Gall. Bereits seit Jahrzehnten ist außerdem das Tauchen nach Langusten mit Pressluftflaschen verboten. Daraus ergibt sich automatisch eine Tiefenbegrenzung von 20 Metern. In den tieferen Regionen können sich die Langusten regenerieren. Der Raubbau an den Korallenriffen besteht jedoch nach wie vor.
Kerstin Nees
Zum Weiterlesen:
Verena Sandner Le Gall: Indigenes Management mariner Ressourcen in Zentralamerika: Der Wandel von Nutzungsmustern und Institutionen in den autonomen Regionen der Kuna (Panama) und Miskito (Nicaragua). Kieler Geographische Schriften 116. Kiel 2007
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