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Nr. 86, 09.04.2016  voriger  Übersicht  weiter  REIHEN  SUCHE 

Aufmerksamkeit mangelhaft

Wöchentlich wird in der Klinik für Neuropädiatrie mindestens ein Kind mit Verdacht auf ADS vorgestellt. Und immer wieder kommt heraus, dass ein ganz anderes Problem zugrunde liegt.


Wenn Jungen und Mädchen Hausaufgaben machen und einfach nicht bei der Sache sind, muss das keineswegs an ADS liegen. Foto: Thinkstock

In der Schule will sich beim besten Willen der gewünschte Lernerfolg nicht einstellen. Der oder die liebe Kleine ist im Kindergarten so zappelig, dass sich das Erziehungspersonal regelmäßig einem Nervenzusammenbruch nahe wähnt: In solchen Fällen kommt schnell die Vermutung auf, dass ein Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom (ADS) oder eine Aufmerksamkeitsdefizit/Hyper­aktivi­tätsstörung (ADHS) vorliegen könnte.

Oft genug, so weiß jedoch Professor Ulrich Stephani, halten solche Vermutungen einer gründ­lichen Diagnose nicht stand. »Wir versuchen, das ganze Kind zu betrachten und wie die Krimi­nalisten eine Ursache nach der anderen auszuschließen, um am Ende dem wahren Problem auf den Grund zu kommen«, beschreibt der Dekan der Medizinischen Fakultät und Direktor der Klinik für Neuropädiatrie die Vorgehensweise in seinem Haus.

Geräte sind dazu oftmals gar nicht nötig, umso wichtiger ist gezieltes Fragen und aufmerksames Zuhören. So interessieren sich die Fachleute dafür, wie das zu zappelige oder zu träge Kind schläft. Steht sein Bett womöglich an einem Fenster zu einer belebten Straße hin und ist es nachts einfach zu laut? Schnarcht das Kind wegen zu großer Mandeln, sodass eine Hals-Nasen-Ohren-Klinik die bessere Adresse wäre? Treten Beinschmerzen auf, die auf Wachstums­schmerzen hindeuten? Oder handelt es sich um weniger banale Probleme wie etwa eine gene­tische Störung? Wenn sich Kinder in der Schule immer wieder phasenweise innerlich vom Unter­richt verabschieden, könnte es sich auch um Absenzen handeln, die durch Epilepsie ausgelöst werden.

Ist die Palette der Möglichkeiten erst einmal abgearbeitet, bleiben nur noch 30 bis 40 Prozent der Verdachtsfälle übrig. Dann folgt eine neuropsychologische Diagnostik, die ihrerseits zahlreiche denk­bare Probleme abklopft. So wird die allgemeine Intelligenz getestet, um herauszufinden, ob junge Menschen in der Schule über oder unterfordert sind.

»Wenn Kinder ihrer Schule von der Intelligenz her nicht gewachsen sind, ist das genauso schädlich wie eine unerkannte Hochbegabung.«


Und dann gibt es noch jede Menge mögliche Ursachen, die nach Überzeugung des Professors schon mit einfacher Lebensklugheit angegangen werden können. Wenn Jungen nachweislich weitaus häufiger mit ADHS in Verbindung gebracht werden, liegt das vielleicht schlicht an deren stärkerem Bewegungsdrang. »Da kann schon ein Sportverein viel helfen.«

Auch wenn die Kieler Neuropädiatrie des Uni-Klinikums relativ selten Methylphenidat, besser bekannt unter dem Markennamen Ritalin, verschreibt, lehnt sie diese Substanz aber keineswegs kategorisch ab. »Wenn es nachweislich wirkt, kann man das durchaus für eine gewisse Zeit ein­setzen«, sagt Stephani. Sinn und Zweck der in seinem Haus praktizierten aufwendigen Diagnos­tik sei es einzig, Fehlbehandlungen auszuschließen. »Wenn eine epileptische Erscheinung zugrunde liegt, sind einfach ganz andere Medikamente nötig als Ritalin«, nennt er ein Beispiel.

Martin Geist

Vorträge zum Thema »Neuropädiatrische Sicht des Aufmerksamkeits-Defizit-Syndroms« von Professor Ulrich Stephani für die Schleswig-Holsteinische Universitätsgesellschaft:

11. Mai, 19:30 Uhr, Rendsburg,
Niederes Arsenal, Musiksaal der Volkshochschule, Paradeplatz 11

14. Juli, 20 Uhr, Heikendorf, Ratssaal im Rathaus, Dorfplatz 2.
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