Tics durch Stress
Wer unter einer Tic-Störung leidet, muss oft erhebliche Beeinträchtigungen der Lebensqualität hinnehmen. Erkenntnisse von Fachleuten der Uni Kiel erleichtern gezielte Hilfe.

Die Kernspintomographie macht deutlich, dass Kinder mit Tics weniger Aktivität in Gehirnregionen haben, wo diese ungewollten Reaktionen gesteuert werden. Foto: Thinkstock
Ein Team um Professor Siniatchkin hat nun untersucht, unter welchen Umständen sich Tic-Symptome verstärken. 16 Kinder und Jugendliche mit diesem Leiden stellten sich als Versuchspersonen zur Verfügung und in der Vergleichsgruppe 15 nicht betroffene Gleichaltrige.
Im Zentrum des Interesses stand die Frage, wie die Angehörigen der beiden Gruppen jeweils auf stark emotionale oder mit emotionalem Stress behaftete Situationen reagieren. Mittels Kernspintomographie wurde dabei nachgewiesen, dass Kinder mit Tic und gesunde Kinder auf verschiedene Art und Weise Gehirnregionen anregen. Wenn Angehörige beider Gruppen gleichermaßen Hirnbereiche aktivieren, die für willkürliche Kontrolle über Bewegungen verantwortlich sind, zeigen Kinder mit Tics weniger Aktivität in Gehirnregionen, die unwillkürliche Kontrolle steuern. Was bedeutet, dass Kinder mit Tics wohl in der Lage sind, durch besondere Anstrengung dem Bewegungsdrang entgegenzuwirken. Wenn der Stress jedoch steigt, versagen bei diesen Kindern diese Fähigkeiten. Ihr Hang, bei Stress mit verstärkten motorischen Aktionen zu reagieren, ist dabei zunächst einmal natürlich.
»Man denke an Kleinkinder, die sich oft buchstäblich mit Händen und Füßen freuen«, nennt Professor Siniatchkin ein Beispiel. In aller Regel lernen die Kleinen dann aber mit zunehmendem Alter, diesen Bewegungsdrang einzudämmen, während das bei Menschen mit Tic-Symptomen nicht passiert. Die Kieler Versuche haben gezeigt, dass im Gegenteil Stress die Kontrolldefizite noch verstärkt.
Andersherum bedeutet das, dass Tic-Betroffene zwar mit therapeutischer Hilfe lernen können, in alltäglichen Situationen ihre Störung in den Griff zu bekommen, dass diese Fähigkeit aber versagt, wenn zu viel Emotion im Spiel ist. Die willkürliche Hemmung funktioniert also, nicht jedoch die unwillkürliche. Dieses von den Kieler Forschenden nicht unbedingt erwartete Ergebnis ist von einiger Tragweite. Einerseits folgt daraus laut Siniatchkin, dass es überhaupt nichts bringt, Menschen mit Tics zurechtzuweisen, sondern das Problem dadurch eher noch verstärkt wird. Andererseits ist aus Sicht des Arztes klar, dass sich psychotherapeutische Hilfe nur auf den bewussten Teil des Verhaltens beziehen kann. Geht es dagegen um die von Stress zusätzlich beförderte unwillkürliche Komponente und leiden darunter die Betroffenen und womöglich auch ihre Umwelt, kann eine Verbesserung hauptsächlich mit Hilfe von Medikamenten erreicht werden.
Entscheidend, so bestätigt Siniatchkins Kollege Professor Ulrich Stephani, sei dafür tatsächlich der Leidensdruck. »Wenn die Störung so stark ist, dass die Betroffenen sozial ausgegrenzt werden, muss man natürlich versuchen, mit Neuroleptika gegenzusteuern«, sagt der Direktor der Klinik für Neuropädiatrie. Ansonsten plädieren beide für Mut zur Gelassenheit. Bei nur etwa 20 Prozent der Kinder, so weiß Siniatchkin, halten sich Tic-Störungen bis ins Erwachsenenalter hinein. Der Rest der Betroffenen zeige entweder gar keine Symptome mehr oder nur noch solche, die sich so gut wie gar nicht negativ auf die Lebensqualität auswirken.
Martin Geist

Foto: Geist
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