Mittelalterliche Gentrifizierung
Wer bei Burgen in Schleswig-Holstein an uneinnehmbare Festungen in exponierter Lage denkt, wird enttäuscht. Doch auch wenn die Wehranlagen im Norden meist weniger imposant ausfielen als in Süddeutschland, sind sie spannende Forschungsobjekte.

Nachbau der Turmhügelburg Lütjenburg. Foto: VollwertBIT
Mit bekannten Exemplaren wie Marksburg und Stahleck am Rhein oder der Wartburg in Eisenach hatten die holsteinischen Wehrbauten wenig gemein: »Meist wurde ein runder, abgeflachter Hügel von 7 bis 20 Metern Durchmesser aufgeschüttet, um den ein Ringgraben und eine hölzerne Palisade verliefen. Auf dem Hügel wurde ein turmartiges Wohngebäude errichtet, weshalb man von Turmhügelburgen spricht«, sagt Daniel Kossack, »eine bekannte Rekonstruktion steht in Lütjenburg.«
Originale Turmhügelburgen, auch Motten genannt, sind dagegen nicht erhalten. Selbst die hölzernen Gründungspfähle und Reste der Palisaden wurden seit dem 19. Jahrhundert oft von Landwirten aus dem morastigen Boden geholt, weil sie beim Pflügen störten. »So bleiben heute oft nur eine kleine Bodenerhebung, aufwändige Grabungen oder schriftliche Quellen, um den einstigen Standort einer Turmhügelburg zu ermitteln«, stellt Daniel Kossack bedauernd fest.
Beim Aufstöbern geeigneter Schriftquellen profitiert der Archäologe Kossack von der interdisziplinären Ausrichtung der Graduiertenschule Human Development in Landscapes. Hier schreibt nicht nur er seine Doktorarbeit, sondern beispielsweise auch der Historiker Stefan Magnussen. »Er kennt die relevanten Archive zwischen Hamburg und Kopenhagen bestens und hat mir schon so manchen guten Tipp für meine Datensammlung gegeben«, freut sich Daniel Kossack.
Magnussens Forschungsfeld ist zudem zeitlich und geografisch eng mit dem von Kossack verbunden, gemeinsam haben die beiden Doktoranden bereits einen internationalen wissenschaftlichen Workshop zu Burgen in Europa organisiert. So profitieren beide von den Kontakten in der fächerübergreifenden Graduiertenschule, der auch ihre Promotionsbetreuer Professor Oliver Auge und Professor Ulrich Müller angehören.
»Ich untersuche die Entstehung von Burgen im alten dänischen Herzogtum Schleswig – sozusagen ein Fall von mittelalterlicher Gentrifizierung«, wie Stefan Magnussen augenzwinkernd anmerkt. Ursprünglich bildeten Großbauern, die auf befestigten Höfen lebten, die lokalen Eliten in Schleswig. Ab dem 14. Jahrhundert kauften mehr und mehr Angehörige des niederen Adels, die in Holstein zu Wohlstand gekommen waren, im Herzogtum Schleswig Land. »Dort errichteten sie, wie schon in ihrer Heimat südlich der Eider, Turmhügelburgen«, sagt Magnussen. »Gelegentlich kamen sie auch durch Einheirat in dänische Familien an vorhandene Wehranlagen und bauten diese weiter aus.« Denn die aus Holstein übergesiedelten »Neu-Schleswiger«, so erläutert Magnussen weiter, sahen die Burgen nicht nur als Zweckbauten für Verteidigung und Verwaltung an, sondern möglicherweise auch als Statussymbole in Abgrenzung zu den bisherigen, bäuerlich geprägten lokalen Eliten.
So gewähren die hölzernen Turmhügelburgen, auch wenn sie längst vergangen sind, zahlreiche Einblicke in die wechselvolle Geschichte des heutigen Schleswig-Holsteins. Doch manche Frage ist noch offen: Warum wählte der niedere Adel oftmals Bauplätze in Tälern, statt seine Motten auf natürlichen Anhöhen mit guter Rundumsicht zu errichten? Wie war das Verhältnis der Burgenbauer zur Kirche? Welche unscheinbaren Wiesen im Norden bergen noch mittelalterliche Geheimnisse? Den Burgenforschern Daniel Kossack und Stefan Magnussen dürfte die Arbeit so schnell nicht ausgehen.
Jirka Niklas Menke
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