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Nr. 86, 09.04.2016  voriger  Übersicht  weiter  REIHEN  SUCHE 

Mittelalterliche Gentrifizierung

Wer bei Burgen in Schleswig-Holstein an uneinnehmbare Festungen in expo­nierter Lage denkt, wird enttäuscht. Doch auch wenn die Wehranlagen im Norden meist weniger imposant ausfielen als in Süddeutschland, sind sie spannende Forschungsobjekte.


Nachbau der Turmhügelburg Lütjenburg. Foto: VollwertBIT

Burgen im östlichen Holstein dokumentieren einen großen Umbruch, berichtet der Archäologe Daniel Kossack. »Nach der militärischen Niederlage der dort lebenden Slawen Mitte des 12. Jahrhunderts kolonisierten die Schauenburger das Gebiet, indem sie Menschen aus dem römisch-deutschen Reich ansiedelten«, erläutert Kossack. Auf diese Weise hielten nicht nur das Christentum und technische Innovationen wie der Wendepflug Einzug, sondern auch ein Feudalsystem, in dem der niedere Adel eine wichtige Rolle spielte: Seine Angehörigen waren die örtlichen Vertreter der gräflichen Macht und beeinflussten wesentlich die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umbrüche. »Um ihre Macht zu festigen, begannen die niederen Adligen in Holstein ab Ende des 12. Jahrhunderts, Burgen zu bauen«, berichtet Kossack.

Mit bekannten Exemplaren wie Marksburg und Stahl­eck am Rhein oder der Wartburg in Eisenach hatten die holsteinischen Wehrbauten wenig ge­mein: »Meist wurde ein runder, abgeflachter Hügel von 7 bis 20 Metern Durchmesser aufgeschüttet, um den ein Ringgraben und eine hölzerne Palisade verliefen. Auf dem Hügel wurde ein turmartiges Wohn­gebäude errichtet, weshalb man von Turmhügelburgen spricht«, sagt Daniel Kossack, »eine bekannte Rekonstruktion steht in Lütjen­burg.«

Originale Turmhügelburgen, auch Motten genannt, sind dagegen nicht erhalten. Selbst die hölzernen Gründungspfähle und Reste der Palisaden wurden seit dem 19. Jahrhundert oft von Landwirten aus dem morastigen Boden geholt, weil sie beim Pflügen störten. »So bleiben heute oft nur eine kleine Bodenerhebung, aufwändige Grabun­gen oder schriftliche Quellen, um den einstigen Standort einer Turmhügelburg zu ermitteln«, stellt Daniel Kossack bedauernd fest.

Beim Aufstöbern geeigneter Schriftquellen profitiert der Archäologe Kossack von der interdis­ziplinären Ausrichtung der Graduiertenschule Human Development in Landscapes. Hier schreibt nicht nur er seine Doktorarbeit, sondern beispielsweise auch der Historiker Stefan Magnussen. »Er kennt die relevanten Archive zwischen Hamburg und Kopenhagen bestens und hat mir schon so manchen guten Tipp für meine Datensammlung gegeben«, freut sich Daniel Kossack.

Magnussens Forschungsfeld ist zudem zeitlich und geografisch eng mit dem von Kossack verbunden, gemeinsam haben die beiden Doktoranden bereits einen internationalen wissen­schaftlichen Workshop zu Burgen in Europa organisiert. So profitieren beide von den Kontakten in der fächerübergreifenden Graduiertenschule, der auch ihre Promotionsbetreuer Professor Oliver Auge und Professor Ulrich Müller angehören.

»Ich untersuche die Entstehung von Burgen im alten dänischen Herzogtum Schleswig – sozusa­gen ein Fall von mittelalterlicher Gentrifizierung«, wie Stefan Magnussen augenzwinkernd anmerkt. Ursprünglich bildeten Großbauern, die auf befestigten Höfen lebten, die lokalen Eliten in Schleswig. Ab dem 14. Jahrhundert kauften mehr und mehr Angehörige des niederen Adels, die in Holstein zu Wohlstand gekommen waren, im Herzogtum Schleswig Land. »Dort errichteten sie, wie schon in ihrer Heimat südlich der Eider, Turmhügelburgen«, sagt Magnussen. »Gelegent­lich kamen sie auch durch Einheirat in dänische Familien an vorhandene Wehranlagen und bauten diese weiter aus.« Denn die aus Holstein übergesiedelten »Neu-Schleswiger«, so erläu­tert Magnussen weiter, sahen die Burgen nicht nur als Zweckbauten für Verteidigung und Verwaltung an, sondern möglicherweise auch als Statussymbole in Abgrenzung zu den bisherigen, bäuerlich geprägten lokalen Eliten.

So gewähren die hölzernen Turmhügelburgen, auch wenn sie längst vergangen sind, zahlreiche Einblicke in die wechselvolle Geschichte des heutigen Schleswig-Holsteins. Doch manche Frage ist noch offen: Warum wählte der niedere Adel oftmals Bauplätze in Tälern, statt seine Motten auf natürlichen Anhöhen mit guter Rundumsicht zu errichten? Wie war das Verhältnis der Burgenbauer zur Kirche? Welche unscheinbaren Wiesen im Norden bergen noch mittelalterliche Geheimnisse? Den Burgenforschern Daniel Kossack und Stefan Magnussen dürfte die Arbeit so schnell nicht ausgehen.

Jirka Niklas Menke
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